Man muss kein gläubiger Mensch sein, um zu spüren: Unsere Zeit ist aus den Fugen geraten. Klimakrise, politische Instabilität, technologische Kontrollverluste – vieles wirkt, als stünden wir vor einem Kipppunkt. Und so drängt sich plötzlich wieder ein altes Motiv in unser Denken: die Offenbarung.

Dabei geht es mir nicht um religiöse Endzeitprophetie. Sondern um eine tiefere, philosophische Frage: Gibt es Parallelen zwischen dem, was die biblische Offenbarung beschreibt – und dem, was wir heute erleben?

Endzeitstimmung ohne Erlöser

Die Apokalypse im biblischen Sinne folgt einem Ziel: Sie zerstört, um etwas Neues zu schaffen. Das Böse wird gerichtet, das Gute erlöst. Unsere Gegenwart kennt kein solches Ziel. Sie kennt nur Krisen, die sich überlagern, ohne Erlösungsperspektive.

Der Philosoph Günther Anders sprach davon, dass wir die Katastrophe längst erkannt haben – aber nicht danach handeln. Er nannte das „Apokalypse-Blindheit“. Wir sehen die Gefahr, aber tun so, als sei noch Zeit.

Offenbarung als Entbergung

Im Kern bedeutet „Offenbarung“: Etwas wird sichtbar, was zuvor verborgen war. Wahrheit tritt ans Licht. Heute erleben wir genau das:

  • Die ökologischen Folgen unseres Handelns werden unübersehbar.

  • Die politischen Systeme zeigen ihre Schwächen.

  • Technologische Entwicklungen entgleiten demokratischer Kontrolle.

Doch anders als im biblischen Text folgt auf diese Entbergung kein göttliches Urteil. Nur wir selbst könnten reagieren – und tun es oft nicht.

Das neue „Tier“: Systeme außer Kontrolle

In der Johannesoffenbarung taucht ein bedrohliches Tier auf – ein Symbol für Machtmissbrauch, Chaos und das Böse. In unserer Zeit hat dieses Tier neue Formen:

  • globale Konzerne mit unkontrollierbarem Einfluss,

  • Künstliche Intelligenz, deren Entscheidungen wir kaum noch verstehen,

  • Märkte, die Menschen und Natur gleichgültig behandeln.

Diese Systeme sind menschengemacht – und doch entziehen sie sich menschlicher Kontrolle. Vielleicht ist das die eigentliche Apokalypse unserer Zeit: dass wir unsere Schöpfungen nicht mehr bändigen können.

Hoffnung – aber ohne Garantie

Trotz allem endet die biblische Offenbarung mit einem Bild der Hoffnung: dem „neuen Jerusalem“. Auch in der Philosophie gibt es diese Hoffnung – aber sie kommt nicht von außen. Sie liegt in der Verantwortung, die wir füreinander und für den Planeten übernehmen.

Ernst Bloch nannte das Prinzip Hoffnung. Habermas glaubte an die Kraft des Diskurses. Bruno Latour entwarf ein neues Gleichgewicht zwischen Mensch und Erde. Es gibt also Gegenentwürfe – aber keine göttliche Garantie. Wir müssen sie selbst Wirklichkeit werden lassen.


Fazit

Die Offenbarung lebt – nicht als göttliches Versprechen, sondern als Spiegel unserer Zeit. Die Apokalypse ist nicht mehr das Ende der Welt, sondern das Ende von Illusionen. Und vielleicht liegt genau darin unsere Chance: Die Dinge, die wir sehen, können wir auch verändern. Wenn wir es wollen.